Wildes Abenteuer auf Sardinien – eine Woche war ich unterwegs auf dem Wanderweg Salvaggio Blu. Dabei habe ich nicht nur den Wanderweg kennengelernt.
Hintergrund
Von der Tour Selvaggio Blu Plus habe ich zufällig im Skiurlaub erfahren und war sofort begeistert, dass man diese Tour buchen kann. Zwei Monate später waren die Bilder wieder in meinem Kopf präsent. Kurzentschlossen habe ich mich online informiert, wann es die Möglichkeit gibt und ob ich noch dabei sein kann.
Der erfahrene Südtiroler Bergführer Matthias Hofer ist der Organisator, der die Trekkingtour im Osten Sardiniens schon mehrfach mit Teilnehmern durchgeführt hat.
Die Anmeldung war unkompliziert per Mail erledigt und ich wusste, dass ich im Mai am Start bin.
Start ins Ungewisse
Zugegebenermaßen hatte ich nicht viel Zeit für die Vorbereitung. Deshalb habe ich mich im Vorfeld kaum informiert und ließ mich von der Tour überraschen. Abenteuerlich war die Organisation im Vorfeld, wie man es bei so einer Tour erwarten kann. Also nichts mit der typischen Touriorga – jeder musste die An- und Abreise selbst organisieren.
Mein Gedanke: Ich habe alles im Gepäck, was ich zum Überleben benötige – wird schon schiefgehen.
Improvisation bei der Anreise
Ich hatte mir den günstigsten Flug ausgesucht und stellte fest, dass der Flughafen mitten in der Pampa im Hundsrück lag – Frankfurt-Hahn (HHN).
Zum Glück gab es seit Mai die Deutschlandcard, mit der ich günstig dort hinkam. Sonst hätte sich mein vermeintlicher Billigflug zu einem teureren Spaß entwickelt.
Bei der Anfahrt im Zug erfuhr ich von Matthias, dass die Mitarbeiter der italienischen Fluggesellschaft einen Streik eingelegt haben. Dementsprechend konnte ich nicht mit ihm nach Santa Maria Navarrese mitfahren. Die Taxifahrt dorthin hatte mich 180 Euro gekostet. Also Hin- und zurück 360 Flocken – deutlich mehr als mein Flug. Da kam mein sparsames Schwabengen zum Vorschein und ich recherchierte im Bus nach Alternativen.
Meine gefundene Alternative war ein Mietwagen, mit dem ich fast 100 Euro günstiger unterwegs war und volle Flexibilität hatte. Gebucht!
Endlich am finalen verlassenen Busbahnhof mitten in der Pampa angekommen, schleppte ich mein Gepäck Richtung Flughafen. Ich lernte den schlechtesten Flughafen Deutschlands HHN kennen, der eher einen Transitflughafen gleicht, der nicht für Menschen angedacht ist. Mit dieser neuen Erkenntnis im Gepäck ging es nachts nach Cagliari auf Sardinien.
Übernachtung in der Ankunftshalle
Die Sache mit dem Mietwagen hatte einen Haken. Nachts war der Schalter bis zum nächsten geschlossen. Es war zwischenzeitlich sowieso schon 1 Uhr und ich legte mich in der Ankunftshalle auf eine 3er Bank mit meinem Schlafsack. Nach fast stündlichem Aufwachen stellte ich fest, dass es noch ein paar andere Gestalten gab, die übernachteten oder durch die Halle liefen.
Aufstehen um 6 Uhr. Mit Rückenschmerzen fragte ich mich, weshalb ich eigentlich nicht meine aufblasbare Isomatte aus der Tasche geholt hatte, um etwas bequemer zu liegen.
In der Abflughalle kamen nach und nach immer mehr Soldaten unterschiedlicher Nationen mit ihrem Gepäck in der Nähe meines Schlafplatzes an. Zum Transport meines Gepäcks hatte ich mich für meine Kampftragetasche von der Bundeswehr entschieden. Der einweisende italienische Soldat schaute mich an und fragte sich, ob ich eventuell auch mein Gepäck in den separaten Raum am Flughafen bringen wollte. Nope, ich fahre Auto. Ich war der erste in der Halle der Mietwagenagenturen und holte mir meinen Panda ab. Los gings 2 Stunden über die sardinische Straßenpiste in den Hinterhof unserer Ausgangsunterkunft bei Franco.
Positives Denken schafft schöne Aussichten
Langanhaltender und teils starker Regen mit Starkwind sind selbst für einheimische ein kaum erlebtes Phänomen. Dadurch hat sich unser Start um einen Tag verzögert. Für mich optimal, damit ich mich von meiner etwas strapaziösen Anreise erholen konnte.
Im ersten Moment denkt man sich, dass so ein Wetter kein guter Start ist. Doch genau dieses ungewöhnliche Wetter verschaffte uns einmalige Ansichten einer Landschaft, die fast nur Sonnenschein kennt. Positives Denken und die Erkenntnis, dass ich einmalige Landschaftsfotos machen kann, weckte eine gewisse Vorfreude.
Spannender und trauriger Abend
Am zweiten Abend saßen wir in der Pergola im Erdgeschoß von Francos Unterkunft bei Bier und Wein zusammen. Neben verschiedensten Berichten und Fragen zu diversen Themen rund um Trekking, Abseilen und Klettern kam Matthias zu späterer Stunde auf ein schmerzhaftes Ereignis seines Lebens als Bergretter zu sprechen. Ein Teil hatte sich ins Bett verabschiedet. Der Rest durfte an der Geschichte teilhaben, die drei Anwesende am Tisch betraf. Die Drei, Matthias, Michel und Claus tauschten sich zum ersten Mal in dieser Konstellation über einen tragischen Bergunfall eines damals sechszehnjährigen aufstrebenden Kletters aus Klausen aus.
Von Tod und Leben
Vor 8 Jahren war Notarzt Michel am Einsatz beteiligt, nachdem der Jugendliche beim Abstieg ausgerutscht war und in die Tiefe stürzte. Der Bergretter Matthias war nicht im Einsatz, hatte aber über Funk den Notruf mitbekommen. Er hatte dabei ein ungutes Gefühl. Es war Alex, dessen Vorbild und Mentor Claus mit uns am Tisch saß. Damals starb der verunglückte Bergsteiger eine Woche nach dem Unfall an seinen Verletzungen.
Michel schilderte das tragische Ereignis aus seiner Perspektive als Notarzt. Ihm wurde erst beim Erzählen bewusst, dass er am Tag des Unfalls mit Matthias im Krankenhaus in Bozen gesprochen hat.
Matthias, berichtete über seine Erinnerungen an Alex. Momente und Gepflogenheiten, bei denen er bei ihm zu Besuch war, um in Matthias‘ Bergsteigerliteratur zu lesen. Er hat mit Alex die ersten Klettertouren gemacht als er 10 Jahre alt war.
Klaus, der die engste Bindung hatte, war sehr berührt von den Erzählungen. Die meisten Anwesenden, mich eingeschlossen, rührte die Geschichte zu Tränen des Mitgefühls.
Der Klettergarten von Alex
Matthias berichtete vom „Klettergarten von Alex„, der seit der Gestaltung durch das damalige Nachwuchstalent nach seinem Tod weitergewachsen ist. Es sei ein besonderes Erlebnis darin zu klettern, weil Alexs Routen den Charakter des Verstorbenen widerspiegeln.
Ich hatte das Gefühl, dass für Matthias im Klettergarten Alexs Spirit verewigt ist. Er lud uns ein gemeinsam mit ihm den Klettergarten zu begehen, um das besondere Flair selbst zu erleben.
Ich bin dankbar über das Teilen der persönlichen Erlebnisse und darüber ein Teil dieses besonderen Moments gewesen zu sein. In diesem Moment habe ich eine tiefe Verbundenheit zu Matthias und den Betroffenen gespürt.
Meine Erkenntnis: Manche Begegnungen sind kein Zufall.
Singing in the Rain
Unsere erste Tour im Regen war nicht für jeden das erhoffte Vergnügen. Für mich war es der erste richtige Eindruck der Insellandschaft, der außergewöhnlich selten ist. Die Fotos zeigen einige Eindrücke der verregneten Küstenlandschaft.
Übrigens: Gesungen habe ich nur innerlich, um die Geräusche der Natur auf mich wirken zu lassen 😉
Jetzt geht’s los
Morgens ging es gestärkt von der Unterkunft mit alten Landis los. Diese haben uns an unseren Startpunkt im Norden gebracht. Das ist eine der Besonderheiten der geführten Tour, dass sie statt dem üblichen Ausgangspunkt der Trekkingtour Selvaggio Blu nicht im Süden, sondern im Norden startet.
Die Fotos zeigen euch einige Ansichten und Aussichten unserer Tour durch die blühende Flora und Fauna.
Kulinarische Highlights
Die Trekkingtour ist bewusst einfach gehalten, um die Naturnähe zu erleben und neue Blickwinkel auf unser sonst sehr komfortables Leben zu gewinnen. Auf gutes Essen musste nicht verzichtet werden. Auf der Tour wurden abends unser Gepäck, Essen und Trinken in die Nähe unseres abendlichen Schlafplatzes geliefert.
Morgens gab es Frühstück mit Kaffee, Tee, Müsli, Brötchen und den typischen Aufstrichen, sowie etwas deftigere Kost.
Abends kredenzten uns die ambitionierten Hobbyköchinnen und -köche aus dem Team ein leckeres warmes Essen vom Gasbrenner, das nach einer schönen Etappe besonders gut schmeckte. Für die Liebhaber von Bier und Wein war abends gesorgt, um den Tag entspannt ausklingen zu lassen.
An zwei Tagen durften wir beim Abendessen an zwei besonderen Locations den Geschmack der köstlichen einheimischen Küche kennenlernen.
Darüber zu berichten wäre ein eigener Blogbeitrag, der nicht ganz in meine Thematik passt und den Umfang des Reiseberichtes sprengen würde.
Klettern und Abseilen
Eines der wichtigsten Highlights sind die Kletterpartien und zahlreichen Abseiler.
Wie ist das Gefühl, wenn man von ungewöhnlich exponierten Punkten in die Tiefe abgeseilt wird?
Mit einem anfänglichen mulmigen Bauchgefühl und gleichzeitigem Nervenkitzel, würde ich das Erlebnis zusammenfassen. Das Risiko für Leib und Leben ist zu jedem Zeitpunkt durch die beiden erfahrenen Bergführer geringer als die Fahrt über die Autobahn – zumindest meine Einschätzung. Dennoch ist es für mich und die meisten Teilnehmer eine nicht alltägliche Situation und für jeden eine individuelle Herausforderung.
Die Bilder geben einen kleinen Eindruck des Erlebnisses wieder. Erleben müsst ihr es selbst.
Der Weg zu den Abseilpunkten war teils schwierig, da Matthias etwas Neues ausprobiert hat. Es ging teils durch Gelände mit scharfkantigen Felsen und Steinen. Beim Springen von Stein zu Stein habe ich mich an meine Kindheit erinnert als ich mit meinen Eltern in Südtirol wandern war. Feststellung: Es macht mindestens so Spaß wie damals, den schnellsten Move über die Steine zu finden und dabei ganz auf den Bewegungsablauf fokussiert zu sein.
Ich fand es spannend. Allerdings waren die neuen Abschnitte mit Umwegen verbunden, die durch unwegsames Gelände führten und nicht bei allen für Erheiterung sorgten.
Dafür wurden wir mit großartigen Abseilern belohnt und alle hatten wieder ein Strahlen im Gesicht 🙂
Resümee
Zu guter Letzt stellt sich die Frage, was die Besonderheit des Abenteuers ausmacht. Das einfache Leben in der Natur mit der Reduktion auf das Wesentliche. Fließendes warmes Wasser und eine Toilette sind für einige Tage tabu. Das so Gewohnte nimmt kurz danach einen anderen Stellenwert ein. Meine erste warme Dusche in einfachen sanitären Anlagen auf dem Coile Bertarelli mit nur wenig Wasser fühlte sich an wie ein ungewohnter Luxus. Man gewöhnt sich danach schnell wieder an das Gewohnte. Es bleibt aber die Wertschätzung, dass uns im Alltag vieles ungeachtet erleichtert wird.
Abenteuerlich sind auf jeden Fall die gigantischen Abseiler. Bis zu 70 m wurden wir vom Bergführer abgeseilt. Dabei hingen wir an einem dünnen Seil. Vertrauen in beide ist unbedingt erforderlich. Anfangs ist es mir gar nicht so leicht gefallen mich einem, zu diesem Zeitpunkt annährend Unbekannten, anzuvertrauen. Sobald aber das Vertrauen in Mann und Material da ist, macht es riesigen Spaß.
Körperliche Andenken und langfristige Erinnerungen
Auf der Tour fällt auf, dass alle Wanderer des Selvaggio Blu Beine und Arme mit mehr oder weniger Kratzern aufwiesen. Es waren die verflixten Büsche und Dornen, die einem Kratzer zusetzen konnten. Dieses Souvenir nimmt man mit nach Hause und hat kurzfristig eine kleine Erinnerung an die Trekkingtour. Bei mir liegt der Urlaub nach einer Woche gefühlt mindestens einen Monat zurück.
Langfristig bleibt die Erinnerung an ein einmaliges Naturerlebnis in der beeindruckenden Wildnis entlang der Selvaggio Blu. Die Anstrengungen und Erfahrungen in der kleinen Gruppe zu teilen, vermehrt die Freude über das gemeinsame Erlebnis.
Die Toleranz und Entspanntheit aller Beteiligten bei ungeplanten Umwegen waren hervorragend. Die Stimmung im Team war trotz der für die meisten ungewohnten und herausfordernden Umgebung immer gut.
Den Selvaggio Blu Plus kann ich allen abenteuerlustigen Menschen weiterempfehlen.
Sehr interessant zusammengefasst . Man kann die Faszination von diesem besonderen Erlebnis erspüren.
Hallo Thomas ,
ich finde deinen Blog / Bericht sehr treffend . Die Bilder sind richtig gut- war bei dir als Hobby- Profi-fotograf auch nix anderes zu erwarten !!
Es war auch für mich eine besondere Woche mit tollen Menschen . Leider holt uns der Alltag schnell wieder……aber die schönen Erinnerungen bleiben.
DAANKE und Liebe Grüsse
Hedi